Sommerreise nennt Florian Pronold das, was er gerade unternimmt: Der Landesvorsitzende der Bayern SPD ist kreuz und quer im Freistaat unterwegs, sperrt die Ohren auf und macht Notizen, wenn er Problemen begegnet. Wenn es um das Thema barrierefreie Bahnhöfe geht, hört Pronold besonders gut hin, das Thema ist ein Schwerpunkt der Tour. In Pegnitz lauschte und notierte er gestern eifrig.
Weil der Tag voller Termine war, hatte sich Anette Kramme mit dem Mietwagen zum Fachgespräch nach Pegnitz aufgemacht. Um barrierefreie Bahnhöfe sollte es gehen. In Pegnitz, weil Pegnitz von einem barrierefreien Bahnhof noch weit entfernt ist — obwohl hier in den Einrichtungen von Regens Wagner doch gerade Menschen mit Behinderung leben und arbeiten.
Das Gespräch war eine Idee von Stadtrat Oliver Winkelmaier (SPD), der die beiden Parteigenossen und Bundestagsmitglieder Kramme und Pronold eingeladen hatte.
„Pegnitz steht stellvertretend für viele Orte in Oberfranken“, sagt Winkelmaier. Orte, an denen nicht nur Menschen, die im Rollstuhl sitzen, Aufzüge und Unterführungen an den Bahnhöfen vermissen. Auch für ältere Menschen — mit und ohne Rollator — und für Mütter mit kleinen Kindern sind die steilen Treppen ein Problem. „Wer in Pegnitz einmal mit Kinderwagen und Taschen zum Gleis 2 musste, weiß, wovon wir sprechen“, sagte Winkelmaier.
Ein Mietwagen, wie ihn Kramme gestern nutzte, um nach Pegnitz zu kommen, kostet etwa 30 Euro am Tag. Für das Ehepaar Irene und Rainer Böhm, das zum Fachgespräch aus Forchheim anreiste, war der Ausflug ungleich teurer. 161 Euro mussten sie für den Behinderten-Fahrdienst hinlegen, der sie die rund 90 Kilometer hinund zurückchauffierte. Ein Auto besitzen die Böhms nicht, und die Fahrt mit Bus und Bahn wollte sich das Ehepaar nicht antun: Rainer Böhm (63) sitzt seit 20 Jahren im Rollstuhl, in den letzten Jahren hat ihn die Krankheit Multiple Sklerose immer weiter eingeschränkt.
Die 161 Euro war ihnen die Fahrt wert, betont Irene Böhm (49), weil sie in Pegnitz auf die Schwierigkeiten aufmerksam machen konnten, die das ohnehin nicht unbeschwerte Leben des Paares noch beschwerlicher machen: Ähnlich wie in Pegnitz sind auf dem Forchheimer Bahnhof die Gleise 2 und 3, von denen aus die Züge nach Bamberg und Nürnberg fahren, nur über Treppen erreichbar — und damit für Rainer Böhm tabu. Besser sieht es auf dem Bahnhof in Erlangen aus, zu dem sich die Böhms mit dem Behinderten- Fahrdienst bringen lassen, wenn sie etwa einen Ausflug nach München unternehmen wollen.
So eine Fahrt muss aber gut geplant sein: Weil in den Zügen kaum Platz für Rollstuhlfahrer vorgesehen sei, müsse man sich mindestens 24 Stunden vorher bei der Bahn anmelden. „In Wahrheit muss man sich oft Wochen vorher um einen Platz bemühen, weil schon andere Schlange stehen“, sagt Irene Böhm. Kürzlich setzte die Bahn einen Ersatzzug ein, der auf die Böhms nicht vorbereitet war. So war für Rainer Böhm und seinen Rollstuhl nur Platz im Fahrradabteil — von wo aus ein Durchkommen zur behindertengerechten Toilette unmöglich war.
„Man fragt sich schon, ob die Bahn Menschen mit Behinderung als Kunden überhaupt will“, bemerkte Strullendorfs Bürgermeister Andreas Schwarz, der in der Runde von seinen Erfahrungen berichtete: Die Gemeinde Strullendorf möchte den Bahnhof, den sie gekauft hat, auf eigene Faust behindertengerecht machen. „Aber die Bahn liefert seit Monaten keine Daten, die wir brauchen, um zu wissen, wo etwa Kabel liegen und wo wir eine Unterführung bauen können.“ Stumm blieb die Bahn auch beim Fachgespräch: Ein Vertreter, der eingeladen worden war, erschien nicht. Dafür, dass die Böhms trotzdem Gehör finden, will Florian Pronold sorgen: „Bei dem Thema geht es um die Würde von Menschen.“ Er versprach, die Ergebnisse seiner Sommerreise an den Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, an Bahnchef Rüdiger Grube und Bayerns Bahnchef Klaus-Dieter Josel zu schicken: „Man sieht es ja an Neuhaus, wo der Bahnhof komplett umgebaut wird: Wenn man lästig ist, dann passiert was.“
Quelle: Nordbayerische Nachrichten